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Nach einer „Flucht in die Säumnis“ ist der Anwalt grundsätzlich verpflichtet, auch ohne ausdrückliche Weisung des Mandanten Einspruch gegen das Versäumnisurteil einzulegen (BGH, Urteil vom 25.10.2001– IX ZR 19/99–). Hält er jedoch nach eingehender Prüfung der Erfolgsaussichten eine Fortsetzung des Verfahrens für aussichtslos, hat er rechtzeitig vor Fristablauf mit dem Mandanten Rücksprache zu halten und dessen Entscheidung einzuholen.

Grundsätzlich braucht der Anwalt, der seine Partei durch einfachen Brief über den Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung sowie über Rechtsmittelmöglichkeiten einschließlich der einzuhaltenden Fristen unterrichtet hat, trotz Schweigens des Mandanten keine Nachfrage zu halten. Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen ist eine Verpflichtung zur Nachfrage zu bejahen, etwa wenn der Anwalt den Verlust seiner Mitteilung befürchten musste oder wenn ihm der Standpunkt seines Mandanten, unter allen Umständen ein Rechtsmittel einlegen und durchführen zu wollen, aus bestimmten Umständen bekannt war. Eine Verpflichtung zur Nachfrage besteht beispielsweise dann, wenn der Mandant in einem Parallelrechtsstreit mit dem gleichen Sachverhalt, in dem am selben Tag ein Urteil verkündet wurde, bereits Berufung hat einlegen lassen, aber wohl nicht, wenn die Berufungseinlegung in dem Parallelverfahren bereits dreieinhalb Jahre zurückliegt (BGH, VersR 1991, 124).

Im Streitfall waren die mandatierten Anwälte nach Ansicht des BGH von sich aus zur Einlegung des Einspruchs verpflichtet. Nach ihrer eigenen Darstellung hatten die Anwälte in der mündlichen Verhandlung allein deshalb die Antragstellung unterlassen und den Erlass eines nachteiligen Versäumnisurteils in Kauf genommen, weil sie durch die „Flucht in die Säumnis“ eine Zurückweisung des Vorbringens zu den unterhaltsrechtlich relevanten Darlehensbelastungen des Mandanten vermeiden wollte. In dieser Situation ist – im Gegensatz zur Rechtsmitteleinlegung nach Abschluss der Instanz – die Frage der Einlegung eines Rechtsbehelfs regelmäßig nicht offen. Denn Sinn und Zweck der „Flucht in die Säumnis“ ist es gerade, durch die Einlegung eines Einspruchs den Weg für eine Fortsetzung des Verfahrens frei zu machen (vgl. Prütting/Weth ZZP 98 <1985>, 131, 134 ff.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO 21. Aufl. § 296 Rn. 79 f.; MünchKomm-ZPO/Prütting, 2. Aufl. § 296 Rn. 112). Der Mandant nimmt hier allein aus taktischen Erwägungen eine aus seiner Sicht nachteilige – weil seine Einwendungen nicht berücksichtigende – Säumnisentscheidung hin mit der klaren Zielsetzung, diese nach einem Einspruch durch Wiederholung des andernfalls präkludierten Vortrags zu korrigieren. Aufgrund dessen muss der Anwalt, solange er keine gegenteilige Weisung erhalten hat, davon ausgehen, dass der Mandant eine Fortsetzung des Verfahrens wünscht. Er ist deshalb verpflichtet, auch ohne ausdrückliche Weisung des Mandanten Einspruch gegen das Versäumnisurteil einzulegen oder, wenn er nach eingehender Prüfung der Erfolgsaussichten eine Fortsetzung des Verfahrens für aussichtslos erachtet, rechtzeitig vor Fristablauf mit dem Mandanten Rücksprache zu halten und dessen Entscheidung einzuholen.

Durch den zulässigen Einspruch wird der Prozess in die Lage zurückversetzt, in der er sich vor Eintritt der Säumnis in der mündlichen Verhandlung befand, § 342 ZPO. Das einmal verspätete Vorbringen bleibt damit verspätet (vgl. BGH NJW 1981, 286). Jedoch fehlt es an der nach § 296 Abs. 2 ZPO für eine Zurückweisung erforderlichen Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits, wenn in dem auf den Einspruch anzuberaumenden Termin zur mündlichen Verhandlung die verspätet vorgebrachten Verteidigungsmittel berücksichtigt werden können. Dabei obliegt es dem Gericht, im Rahmen einer umfassenden Terminsvorbereitung alles Zumutbare zu unternehmen, um die Folgen der Fristversäumung auszugleichen (BVerfG NJW 1990, 2373 f.).. Allerdings ist das Gericht nicht verpflichtet, die Verhandlung so weit hinauszuschieben, dass alle nach dem verspäteten Vorbringen in Betracht kommenden Beweise erhoben werden können. Zumutbar sind vorbereitende Anordnungen gemäß § 273 ZPO aber jedenfalls dann, wenn es sich um einfache und klar abgrenzbare Streitpunkte handelt, die ohne unangemessenen Zeitaufwand geklärt werden können. Unter diesen Voraussetzungen ist eine Beweisaufnahme mit vier oder sogar sechs Zeugen stets zumutbar.

Im Streitfall ging es um ein einfaches und klar abgegrenztes Beweisthema, nämlich die Gewährung von zwei Darlehen an den Mandanten sowie deren Rückführung in monatlichen Raten. Hierzu waren die drei Darlehensgeber als Zeugen zu vernehmen. Es war nicht ersichtlich, dass eine derartige Beweisaufnahme die Grenzen des Zumutbaren gesprengt hätte.

Im weiteren Verfahren war zu prüfen, wie der Rechtsstreit zwischen dem Mandanten und der Gegenseite richtigerweise zu entscheiden gewesen wäre, wenn die Anwälte fristgerecht Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt hätten Insoweit handelt es sich um Fragen der haftungsausfüllenden Kausalität, zu deren Beurteilung die Beweismaßstäbe des § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO heranzuziehen sind (BGHZ 133, 110, 113).