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Das fehlende Tragen eines Fahrradhelms begründet erst dann den Mitverschuldensvorwurf gemäß § 254 BGB, wenn sich der Radfahrer als sportlich ambitionierter Fahrer besonderen Risiken aussetzt oder wenn in seiner persönlichen Disposition ein gesteigertes Gefährdungspotenzial besteht (Saarländisches Oberlandesgericht, Urteil vom 9. Oktober 2007 – 4 U 80/07 – 28 –, juris)

Das Gericht hatte zur Begründung ausgeführt, dass zwar insbesondere die ältere Rechtsprechung (OLG Nürnberg, NJW-RR 1991, 546; OLGR Hamm 2002, 45, 49; OLG Hamm, NZV 2001, 86; ebenso: Hentschel, a.a.O., § 21a StVO, Rdnr. 8; Bamberger/Roth/Grüneberg, BGB, § 254 Rdnr. 16) ein Mitverschulden des ohne Helm fahrenden Radfahrers grundsätzlich nicht anrechnet habe, wohingegen die wohl überwiegende Meinung den Mitverschuldensvorwurf jedenfalls für besonders gefährdete Radfahrer, insbesondere für Kinder und sportlich ambitioniert fahrende Rennradfahrer, für berechtigt halte (OLGR Düsseldorf 2007, 1; LG Krefeld, NZV 2ßß6, 205;offen lassend MünchKomm(BGB)/Oetker, § 254 Rz. 42, der eine Helmpflicht für besonders gefährdete Radfahrer für diskussionswürdig erachtet). In einer weiteren Entscheidung hatte das OLG Düsseldorf (Urt. v. 18.6.2007 – I 1 U 278/06; zit. nach juris) seine neuere Rechtsprechung zur Helmpflicht von Radfahrern fortentwickelt und die Auffassung vertreten, dass Radfahrern, die ihr Fahrrad als gewöhnliches Fortbewegungsmittel ohne sportliche Ambitionen nutzen, die fehlende Benutzung eines Helms nicht als anspruchsminderndes Mitverschulden anzurechnen sei. Diese Differenzierung überzeugt:

Gegen ein generelles Mitverschulden ungeschützter Fahrradfahrer spricht, dass es im Gegensatz zum Führen von Krafträdern ($ 21a Abs. 2 StVO) keine den allgemeinen Straßenverkehr regelnde rechtliche Pflicht zum Tragen eines Schutzhelmes gibt. Vielmehr ist das Tragen von Schutzhelmen im Geltungsbereich der Verbandsregeln des UCI seit dem Jahr 2003 insbesondere bei Rennradveranstaltungen vorgeschrieben. Auch für diesen Bereich gibt es Einschränkungen von der Helmpflicht: So müssen selbst Rennradfahrer während der Schlussphase einer Bergankunft keine Helme tragen. Auch während Trainingsfahrten ist das Tragen von Helmen nicht obligatorisch, sondern lediglich empfohlen (UCI-Regeln – Teil 1 – Kapitel III, Sektion 3 Art. 1.3.031).

Zwar steht der Umstand, dass dem Geschädigten kein Rechtsverstoß vorgeworfen werden kann, der Annahme eines Mitverschuldens nicht grundsätzlich entgegen. Denn die Vorschrift des § 254 BGB ist eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben, wonach derjenige eine Verkürzung des ihm zustehenden Schadensersatzanspruches hinnehmen muss, der seine eigene Interessen dadurch missachtet, dass er diejenige Sorgfalt außeracht lässt, die erforderlich und zumutbar erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren (BGHZ 135, 235 240).

Andererseits greift es zu kurz, das Mitverschulden allein daraus herzuleiten, dass die unterlassene Maßnahme geeignet gewesen wäre, den eingetretenen Schaden zu verringern oder gar zu vermeiden. Denn diese Betrachtungsweise liefe darauf hinaus, maximale Sicherheitsforderungen einzufordern. Dieses Gebot ist mit den Maßstäben der praktischen Vernunft nicht zu erfüllen. Mithin ist der in der Sache zutreffende Aspekt, wonach der Einsatz von Fahrradhelmen dazu dienen kann, schwere Kopfverletzungen zu vermeiden, noch nicht hinreichend, um ein Mitverschulden zu begründen.

Zumindest im Alltagsradverkehr begründet allerdings nach herrschender Ansicht das Nichttragen eines Helms nach wie vor kein Mitverschulden des verletzten Radfahrers (OLG Nürnberg, Urteil vom 20. August 2020 – 13 U 1187/20 –, juris). Eine allgemeine Verkehrsauffassung des Inhalts, dass Radfahren eine Tätigkeit darstellt, die generell derart gefährlich ist, dass sich nur derjenige verkehrsgerecht verhält, der einen Helm trägt, besteht weiterhin nicht (BGH, Urteil vom 17. Juni 2014, VI ZR 281(13, VersR 2014, 974).

Allein mit einem Verletzungsrisiko und der Kenntnis davon ist ein verkehrsgerechtes Verhalten jedenfalls nicht begründen (BGH, a.a.O. , juris Rn. 11). Andernfalls müsste bei jeder Tätigkeit mit ähnlichem oder höheren Kopfverletzungsrisiko ein Mitverschulden bejaht werden, wenn der durch einen Sturz Geschädigte keinen Helm getragen hätte. Dies würde dann beispielsweise auch für das Besteigen von Haushaltsleitern gelten.

Auch der heutige Erkenntnisstand hinsichtlich der Möglichkeiten, dem Verletzungsrisiko durch Schutzmaßnahmen zu begegnen, rechtfertigt noch nicht den Schluss, dass ein Radfahrer sich nur dann verkehrsgerecht verhält, wenn er einen Helm trägt (BGH, a.a.O. , juris Rn. 11).

Anlass für die Annahme eines Mitverschuldens durch das Nichttragen eines Schutzhelms könnte nach Auffassung des Bundesgerichtshofs erst dann vorliegen, wenn im Unfallzeitpunkt nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein das Tragen eines Helms beim Fahrradfahren zum eigenen Schutz erforderlich ist (BGH a.a.O. , juris-Rn. 9).