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Streiten die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern um die Aufteilung der Betreuungszeiten des Kindes – etwa im Kontext eines ursprünglich einvernehmlich praktizierten Wechselmodells – besteht im Hinblick auf das von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte elterliche Sorgerecht nach Ansicht des OLG Frankfurts kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil. Insoweit gebührt einer umgangsrechtlichen Entscheidung über den Fortbestand des Wechselmodells oder der künftigen Betreuungsaufteilung nach § 1684 Abs. 3 Satz 1 BGB der Vorrang gegenüber der Aufhebung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts nach § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB (OLG Frankfurt, Beschluss vom 19. Dezember 2022 – 6 UF 208/22 –, juris).

Nachdem der BGH durch seine Entscheidung vom 1.2.2017 (FamRZ 2017, 532) die umgangsrechtliche Begründung eines Wechselmodells für zulässig erachtet hatte, ist bis heute die Frage nicht geklärt, ob dies auch auf der sorgerechtlichen Ebene möglich ist. Diese Unsicherheit geht sogar so weit, dass Anwälten heute z. T. empfohlen wird, in Wechselmodellfällen Sorge- und Umgangsverfahren parallel einzuleiten (vgl. Lack NJW 2021, 837, 838:  Hammer FamRZ 2021, 37, 39).

Soweit die in Kassel ansässigen Familiensenate (OLG Frankfurt, NJW 2020, 3730) der Ansicht sind, über die Begründung oder Aufhebung könne nur sorgerechtlich nach § 1671 BGB entschieden werden, ist dem nach Ansicht der Familiensenate in Frankfurt nicht zu folgen, da dies der ständigen Rechtsprechung des BGH widerspreche und auch offen bleibe, in welcher konkreten Form das Aufenthaltsbestimmungsrecht so aufgeteilt werden könne, dass die elterlichen Betreuungsanteile in vollstreckbarer Weise geregelt werden könnten.

Der BGH hat die Frage der Abgrenzung in Wechselmodellen in Bezug auf eine sorgerechtliche Lösung zunächst ausdrücklich offengelassen (BGH FamRZ 2017, 532 Rn. 15). In seiner zweiten Entscheidung zum Wechselmodell vom 27.11.2019 (BGH FamRZ 2020, 255 Rn. 14 ff.) hat er auch im Hinblick auf die Anwendung von § 1696 Abs. 1 BGB bei vorheriger Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht und dort erfolgter Prüfung des Wechselmodells an der strikten Trennung von Sorge- und Umgangsrecht festgehalten und betont, dass mit der Zuweisung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht notwendiger Weise eine Entscheidung für ein Residenzmodell verbunden sei. Des Weiteren hat er ausgeführt, dass es im Hinblick auf das Wechselmodell denkbar sei, einem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht dann zu übertragen, wenn dieser eine zuverlässige Durchführung eines Wechselmodells eher gewährleiste als der andere Elternteil (dieser Argumentation folgend OLG Brandenburg, FamRZ 2020, 1655).

Wurde ein Wechselmodell in einem Umgangsverfahren gerichtlich vereinbart (§ 156 Abs. 2 BGB) oder angeordnet worden, ist nach Ansicht des BGH (NJW 2022, 153) eine Entscheidung über seine Aufhebung (§ 1693 Abs. 1 BGB) ausschließlich in einem Umgangsverfahren und nicht in einem Sorgerechtsverfahren nach § 1671 BGB zu treffen.

Ist das Wechselmodell einvernehmlich ohne gerichtliche Regelung praktiziert worden, wird in der Rechtsprechung vertreten, dass über seine Aufhebung auch sorgerechtlich über eine Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht entschieden werden könne (OLG Frankfurt 26.4.2022 – 1 UF 219/21, juris; OLG Karlsruhe 16.12.2020 – 20 UF 56/20 juris; für eine allein sorgerechtliche Lösung noch OLG Frankfurt 29.1.2020 – 2 UF 2020 – 2 IF 301/19, NJW 2020, 3730 und 24.3.2021 – 7 UF 111/20, juris).

Auf der anderen Seite werden in der Rechtsprechung in einer solchen Konstellation keine Einwände dagegen erhoben, über die Aufhebung des Wechselmodells auch in einem Umgangsverfahren zu entscheiden und dort bei Aufhebung der paritätischen Betreuung die künftigen Kindesbetreuungszeiten gemäß § 1684 Abs. 3 S. 1 BGB festzulegen, ohne dass es einer vorherigen sorgerechtlichen Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht und Klärung des Lebensmittelpunkts des Kindes bedürfte (OLG Frankfurt, ZKJ 2022, 308; OLG Saarbrücken NJW-RR 2021, 130).

Das OLG Frankfurt geht in der Entscheidung vom 19. Dezember 2022  davon aus, dass § 1684 Abs. 3 S. 1 BGB es ermögliche, bei einem elterlichen Streit um die Verteilung der Kinderbetreuungszeiten den Schwerpunkt des Kindesaufenthalts vom einen auf den anderen Elternteil zu verlagern, wenn ein Wechselmodell nicht in Betracht komme.

Hierfür sprächen schon verfassungsrechtliche Erwägungen im Hinblick auf das von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG geschützte elterliche Sorgerecht. Es ist unzweifelhaft, dass auch ein auf § 1671 Abs. 1 S. 2 BGB gestützter Eingriff in das Sorgerecht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen muss (BVerfG 23.1.2019 – 1 BvR 1461/18, FamRZ 2019, 802 Rn. 2). Kann ein Elternstreit auf der Sorgerechtsausübungsebene gelöst werden, wie z.B. betreffend einer einzelnen Angelegenheit nach § 1628 BGB, so bedarf es keiner Aufhebung der gemeinsamen Sorge. Gleiches hat aber nach Ansicht des OLG Frankfurts für die Frage der Zuweisung der elterlichen Betreuungszeiten zu gelten. Da es § 1684 Abs. 3 S. 1 BGB ermögliche, auch bei gemeinsamem Aufenthaltsbestimmungsrecht die Betreuungsanteile auf der Ebene der Sorgerechtsausübung aufgrund der Geltung der zu § 1671 BGB entwickelten Kindeswohlkriterien der Kontinuität, der Erziehungsfähigkeit und Förderungsgrundsatzes, der Bindungen und des Kindeswillens im Umgangsrecht im Rahmen eines Umgangsverfahrens zu verteilen, würde bei einer alternativ zulässigen Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht in das Sorgerecht des anderen Elternteils eingegriffen.

Gleichzeitig würde der obsiegende Elternteil, der das Wechselmodell begründen oder beenden möchte, mit der Zuweisung des Aufenthaltsbestimmungsrechts mehr Rechtsmacht als erforderlich erhalten. Er könnte aufgrund der Zuweisung des Aufenthaltsbestimmungsrechts mit dem Kind etwa ohne Zustimmung des anderen Elternteils umziehen (BGH FamRZ 2010, 1060) oder sein Einverständnis für eine Fremdunterbringung des Kindes gegen den Willen des anderen Elternteils erteilen (vgl. zu diesem Aspekt BGH FamRZ 2020, 255 Rn. 15).

Das Aufenthaltsbestimmungsrecht könne insoweit auch nicht einschränkend mit der Maßgabe bzw. Einschränkung der Begründung oder Beendigung des Wechselmodells erteilt werden, da § 1671 Abs. 1 BGB keinen Durchgriff auf die Ebene der Ausübung des Sorgerechts eröffne und das Aufenthaltsbestimmungsrecht auch nicht die Befugnis umfasse, den Umgang des anderen Elternteils zu bestimmen. Auch die periodische Aufteilung des Aufenthaltsbestimmungsrechts verbunden mit wechselseitigen Kindesherausgabepflichten werde heute zu Recht als unzulässig angesehen. Schließlich sei auch zu bedenken, dass nach Ansicht des BGH (FamRZ 2022, 255 Rn. 15) mit der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht zugleich notwendigerweise die gerichtliche Entscheidung für ein Residenzmodell verbunden sein soll. Es wäre im vorliegenden Fall der Kindesmutter also auch bei einem Erfolg der Beschwerde unbenommen, in einem anschließenden Umgangsverfahren die Begründung bzw. Fortführung des Wechselmodells geltend zu machen.

Außer verfassungsrechtlichen Erwägungen sprächen schließlich auch verfahrensökonomische Aspekte für einen umgangsrechtlichen Vorrang bei der Verteilung der elterlichen Betreuungszeiten. Mit einer (vorläufigen) Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Beschwerdeführer bliebe die künftige Regelung des Kindesumgangs unbeantwortet und es wäre auch im vorliegenden Fall die amtswegige Einleitung eines Umgangsverfahrens unvermeidlich, was auch in Ansehung der Anwalts- und Gerichtskosten für die Eltern in solchen Konstellationen zu erheblichen Nachteilen führt. Auch ermöglicht diese Lösung eine für die Praxis handhabbare Abgrenzung zwischen Sorge- und Umgangsrecht und zwar auch dann, wenn die Voraussetzungen für ein Wechselmodell nicht vorliegen.

Misslich ist die Vorgehensweise über die Regelung des Umgangsrechts indes, da es hierdurch – vermeintlich überlasteten – Familiengerichten ermöglicht wird, frühzeitig, ohne Ausschöpfung der durch den Amtsermittlungsgrundsatz gebotenen sorgfältigen Ermittlung des Sachverhalts (etwa durch Sachverständigengutachten) vollendete Tatsachen zu schaffen. Da bei einer von Amts wegen durch einstweilige Anordnung getroffene Umgangsregelung, bei dem einem Elternteil die überwiegenden Betreuungsanteile zugewiesen werden, faktisch das Residenzmodell beschlossen wird, ohne dass es für den unterliegenden Elternteil die Möglichkeit der Beschwerde gäbe, steht zu befürchten, dass langwierige Verfahren über das Aufenthaltsbestimmungsrecht durch Eilentscheidungen zum Umgangsrecht umgangen werden.