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Gerade im Zusammenhang mit den aktuellen Auseinandersetzungen um das Impfen aufgrund der Corona-Pandemie werden bereits Verfahren geführt, bei denen ein Konflikt zwischen den sorgeberechtigten Eltern über die Gesundheitsfürsorge familiengerichtlich zu klären ist (obwohl Kinder aufgrund der Impfstoffknappheit derzeit ohnehin nicht geimpft werden).

Streiten Eltern über die Durchführung von Impfungen ihres Kindes ist i.d.R. demjenigen Elternteil das Recht der Gesundheitsfürsorge allein zu übertragen, der Impfungen offen gegenübersteht und dabei den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission  beim Robert-Koch-Institut (STIKO) folgt (OLG Koblenz, Beschluss vom 18. April 2018 – 9 UF 77/18 –, juris; so auch BGH, Beschluss vom 3. Mai 2017, XII ZB 157/16, FamRZ 2017, 1057 und OLG Jena, Beschluss vom 7. März 2016, 4 UF 686/15, FamRZ 2016, 1175).

Das Familiengericht kann gemäß § 1628 Satz 1 BGB auf Antrag eines Elternteils bei gemeinsamer elterlicher Sorge einem Elternteil die Entscheidung bezüglich einer einzelnen Angelegenheit oder einer bestimmten Art von Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, übertragen, wenn sich die Eltern insoweit nicht einigen können. Das Familiengericht hat in diesem Fall den im Rahmen der Sorgerechtsausübung aufgetretenen Konflikt zu lösen (vgl. BGH, NJW 2017, 2826, 2826, Rdnr. 14). Entweder ist die gegenseitige Blockierung der Eltern durch die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil zu beseitigen oder durch Zurückweisung des Antrags die Angelegenheit beim gegenwärtigen Zustand zu belassen.

Die Entscheidung des Familiengerichts richtet sich nach dem Kindeswohl (§ 1697a BGB). Die Entscheidungskompetenz ist demjenigen Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird. Handelt es sich um eine Angelegenheit der Gesundheitssorge, so ist die Entscheidung zugunsten des Elternteils zu treffen, der im Hinblick auf die jeweilige Angelegenheit das für das Kindeswohl bessere Konzept verfolgt.

Das OLG Koblenz ging in seinem Beschluss vom 18.04.2018 davon aus, dass die streitgegenständlichen Schutzimpfungen eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung darstellten. Entscheidend war, dass der Antragsteller Impfungen offen gegenüberstand und seine Haltung an den Empfehlungen der STIKO orientierte.

Zentrale Bedeutung kommt bei der Bestimmung des Kindeswohls den körperlichen, geistigen und seelischen Eigenschaften sowie Bedürfnissen des Kindes zu (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 7. März 2016 – 4 UF 686/15 -, juris). Das OLG Koblenz ging davon aus, dass eine Impfung zum Ausschluss oder jedenfalls zur Abschwächung des Verlaufs gravierender und zum Teil nicht behandelbarer Erkrankungen nach dem allgemeinen Stand medizinischer Wissenschaft geboten erscheint. Hiervon sei hinsichtlich der von der STIKO empfohlenen Impfungen ohne weiteres auszugehen.

Zwar erfordere die Frage, ob einer bestimmten Impfung bei abstrakter Bewertung eine gesundheitserhaltende Schutzwirkung zugeschrieben werden könne oder aber Nachteile im Sinne unerwünschter Nebenwirkungen und Komplikationen überwögen, medizinische Sachkunde und entziehe sich daher zunächst der eigenen Beantwortung durch das Gericht. Gleichwohl sei die Einholung eines Sachverständigengutachtens oder einer amtlichen Auskunft des Paul-Ehrlich-Instituts zur weiteren Aufklärung nicht veranlasst, weil dem Gericht die Empfehlungen der STIKO als hinreichende Erkenntnisquelle zur Verfügung stehe und ihm ausreichenden Sachverstand vermittele. Die aktuellen Empfehlungen der STIKO stellten medizinischen Standard dar (vgl. BGH, NJW 2017, 2826, 2827, Rdnr. 25; 2000, 1784, 1787). Die Empfehlungen würden nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft, insbesondere auf Grundlage von Informationen zur Wirksamkeit und Verträglichkeit ei-nes Impfstoffs und unter Einbeziehung einer epidemiologischen Nutzen-Risiko-Abwägung entwickelt sowie fortgeschrieben. Zudem habe die STIKO als sachverständiges Gremium gemäß § 20 Abs. 2 Satz 3 IfSG die Aufgabe, Empfehlungen zur Durchführung von Schutzimpfungen  und anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe übertragbarer Krankheiten zu geben sowie Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung zu entwickeln (vgl. BGH, NJW 2017, 2826, 2827, Rdnr. 25). Zweck des Infektionsschutzes sei es, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern (§ 1 Abs. 1 IfSG, vgl. BGH, a.a.O.). Impfungen dienen demnach dem Wohl des Einzelnen im Hinblick auf eine mögliche Erkrankung und in Bezug auf die Gefahr einer Weiterverbreitung dem Gemeinwohl.

Nach alledem kann das Oberlandesgericht Koblenz zu dem Ergebnis, dass der Nutzen der Impfungen deren Risiken überwiegt, so dass das Recht der Gesundheitsfürsorge dem Antragsteller zu übertragen war.