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Der Rechtsanwalt, der zunächst beide Eheleute aufgrund deren gemeinsamen Auftrags ausschließlich über die Voraussetzungen und die Herbeiführung der von beiden Eheleuten übereinstimmend gewollten einverständlichen Scheidung ihrer Ehe sowie den Unterhaltsanspruch beraten und den Unterhaltsanspruch berechnet hat, handelt nicht pflichtwidrig i.S.d. § 356 Abs. 1 StGB, wenn er später einen der Ehepartner vertritt und den Unterhaltsanspruch geltend macht (OLG Karlsruhe, Urteil vom 19. September 2002 – 3 Ss 143/01 –, juris).

Zum Parteiverrat gehört es, dass der Rechtsanwalt beiden Personen beruflich, in der Eigenschaft als Anwalt gedient hat. (BGH, Urteil vom 6. Oktober 1964 – 1 StR 226/64 –, BGHSt 20, 41-44).

Das Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit im Sinne des § 356 Abs. 1 StGB setzt einen Interessengegensatz zwischen den Parteien voraus. Darin liegt eine wesentliche tatbestandsmäßige Einschränkung. Pflichtwidrig ist das Dienen des Anwalts dann, wenn er einer Partei Rat oder Beistand leistet, nachdem er einer anderen Partei in derselben Rechtssache, aber im entgegengesetzten Sinne, bereits Rat und Beistand geleistet hat (vgl. beispielhaft zum Scheidungsverfahren BGHR StGB § 356 Abs. 1 Rechtssache 1 Ehescheidung  = wistra 1991, 221). Der Interessengegensatz ist nicht abstrakt und von der objektiven Interessenlage der Partei her, sondern in der Weise zu bestimmen, welches Ziel die Partei – subjektiv – verfolgt haben will und welchen Inhalt der dem Rechtsanwalt erteilte Auftrag hat (OLG Karlsruhe Die Justiz 1997, 448; BGHSt 5, 396 ff.; St 15, 332, 334, 339; 34, 190, 192). Ob der Interessengegensatz vorliegt, ergibt sich aus dem Auftrag, den der Rechtsanwalt erhalten hat; denn dieser Auftrag bestimmt den Umfang der Belange, mit deren Wahrnehmung der Auftraggeber den Rechtsanwalt betraut (vgl. auch BGH St 7, 17, 20). Anvertraubar ist auch ein nur begrenztes Interesse. Der strafrechtliche Schutz erstreckt sich nicht notwendig auf die Gesamtheit der persönlichen und wirtschaftlichen Belange des Auftraggebers, er wird vielmehr durch den Kreis der Rechtsinteressen begrenzt, die der Auftraggeber dem Rechtsanwalt anvertraut hat, sowie dadurch, wie weit sich nach dem Willen des Auftraggebers die anwaltliche Treuepflicht erstrecken sollte; es wäre sinnwidrig, den Strafschutz darüber hinaus auszudehnen (BGHSt 5, 301, 306 ff.; AnwBl 1955, 59). Hiernach ist es rechtlich möglich, dass ein Anwalt in derselben Rechtssache mehreren Beteiligten dient, deren Interessen sich tatsächlich widerstreiten, soweit sich die Interessen der Parteien in derselben Rechtssache vom Standpunkt der Beteiligten aus miteinander vereinigen lassen und soweit sie dem Rechtsanwalt die Wahrnehmung ihres gemeinsamen (vermeintlichen) Interesses anvertraut haben; es handelt sich dann für den Anwalt nicht um Gegenparteien oder um entgegengesetzte Interessen und es kann von einem Missbrauch des Vertrauens im Dienste des Gegners nicht die Rede sein (BGHSt 5, 301, 307, 308). Sind die Ziele, deren Verfolgung mehrere Beteiligte einem Rechtsanwalt anvertraut haben, nicht gegeneinander gerichtet, so verstößt er demgemäß nicht gegen die Bestimmung des § 356 StGB (vgl. auch § 43 a Abs. 4 BRAO), wenn er beiden Parteien, obwohl sie tatsächlich entgegengesetzte Interessen haben, im gemeinsamen beiderseitigen Interesse dient (BGHSt 5, 301, 307, 307, 308). Ein Interessengegensatz schließt nicht aus, dass Parteien gleichgerichtete Interessen haben; in solchen Fällen hat der Rechtsanwalt einen größeren Spielraum als dort, wo seine Bemühungen um einen Vergleich einen Interessenkonflikt der Parteien betreffen (BGH NStZ 1982, 331; St 15, 332, 336; Feuerich/Braun BRAO 5. Aufl. § 43 a Rdnr. 64).

Bei den im vorliegenden Fall einer Scheidungssache disponiblen Rechtsgütern wird der Interessenbegriff vom Willen der Parteien gestaltet und richtet sich nach deren subjektiven Zielen. In Ehescheidungssachen steht es den Ehegatten frei, einverständlich die Voraussetzungen einer Ehescheidung herbeizuführen. Hieraus rechtfertigt sich vorliegend – etwa im Unterschied zum Strafprozess, in dem eine subjektive Disposition des Mandanten über die Interessen nicht möglich ist und nur eine objektive Bestimmung des Interessengegensatzes in Frage kommt, d.h. die objektive wirkliche Interessenlage entscheidet – das subjektive Verständnis des Interessengegensatzes. Ob ein solcher gegeben ist, wird durch einen Vergleich der beiderseitigen subjektiven Parteianliegen ermittelt (vgl. auch Schönke/Schröder – Cramer StGB 26. Aufl. § 356 Rdnr. 18).

Im Falle einer einverständlichen Scheidung treten – bei subjektiver Betrachtung – keine entgegengesetzten Interessen auf.

Bedenklich erscheint diese rein subjektive Betrachtung allerdings im Hinblick darauf, dass Beteiligten in einem Ehescheidungsverfahren vielfach ohne entsprechende Beratung durch einen allein ihren Interessen verpflichteten Rechtsanwalt ihre Rechte nicht hinreichend bekannt ist.