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Im Falle des nachgewiesenen sexuellen Missbrauchs ist eine Entziehung des Sorgerechts und der Ausschluss des Umgangsrechts des Missbrauchenden regelmäßig geboten.

Gem. § 1684 Abs. 4 BGB kann das Familiengericht das Umgangsrecht einschränken oder ausschließen, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Eine Entscheidung, die das Umgangsrecht für längere Zeit oder auf Dauer einschränkt oder ausschließt, kann nur ergehen, wenn anderenfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Ein sexueller Missbrauch stellt eine nachhaltige Gefährdung des Kindeswohls dar, so dass jedenfalls unbegeleitete Kontakte ausscheiden und auch bei begleiteten Kontakten im Einzelfall zu prüfen ist, ob diese das betroffene Kind nicht weiter schädigen. Auch wird i.d.R. eine gemeinsame elterliche Sorge aufgrund fehlender Kommunikationsgrundlagen nicht mehr möglich sein, so dass die elterliche Sorge dem Missbrauchenden zu entziehen ist.

Kann der von einem Elternteil vorgebrachte Verdacht des sexuellen Missbrauchs des Kindes im summarischen Verfahren nicht geklärt werden, ist eine umfassende Risikoabwägung unter Berücksichtigung des Kindeswohls vorzunehmen, wobei es entscheidend auf die Frage ankommt, inwieweit es gesicherte Anzeichen für einen Verdacht gibt OLG Hamm, Beschluss vom 2. November 2022 – 5 UF 108/22 –, juris).

Bei erheblichen Konflikten der getrenntlebenden Eltern und der fehlenden Möglichkeiten, sich untereinander abzustimmen, ist die gemeinsame elterliche Sorge gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB aufzuheben.

Maßstab für die zu treffende Sorgerechtsentscheidung ist das Kindeswohl. Bei der Frage, welchem Elternteil die elterliche Sorge zu übertragen ist, ist eine Abwägung nachfolgender Gesichtspunkte vorzunehmen:

– der Kontinuitätsgrundsatz, der auf die Einheitlichkeit, Gleichmäßigkeit und Stabilität der Erziehungsverhältnisse abstellt,

– der Wille des Kindes, soweit er mit seinem Wohl vereinbar ist und das Kind nach Alter und Reife zu einer Willensbildung im natürlichen Sinne in der Lage ist,

– die Bindung des Kindes an beide Elternteile und etwa vorhandene Geschwister sowie

– der Förderungsgrundsatz, nämlich die Eignung, Bereitschaft und Möglichkeit der Eltern zur Übernahme der für das Kindeswohl maßgeblichen Erziehung und Betreuung.

Der Kindeswille bietet regelmäßig erst ab einem Alter des Kindes von etwa 12 Jahren eine einigermaßen zuverlässige Entscheidungsgrundlage (OLG Brandenburg, Beschluss vom 19. März 2008 – 9 UF 213/07; OLG Brandenburg, Beschluss vom 29. April 2021 – 15 UF 64/21). Bei jüngeren Kindern steht regelmäßig der Loyalitätskonflikt im Vordergrund, so dass sich eine autonome Willensbildung selten feststellen lässt (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 9. März 2022 – 10 UF 25/21 –, juris).

Die einzelnen Kriterien stehen allerdings nicht wie Tatbestandsmerkmale kumulativ nebeneinander. Jedes von ihnen kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht (vgl. hierzu BGH, FamRZ 2011, 796, FamRZ 2010, 1060).

Gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB ist dem Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge oder eines Teils der elterlichen Sorge stattzugeben, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und die Übertragung auf den antragenden Elternteil dem Kindeswohl am besten entspricht. Mit der Neuregelung der Übertragung der elterlichen Sorge durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz vom 16.12.1997 (BGBl. 1997, Teil I, Seite 2942 ff.) hat der Gesetzgeber kein Regel-Ausnahme-Verhältnis in dem Sinn geschaffen, dass ein Vorrang zu Gunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge besteht und die Alleinsorge eines Elternteils nur in Ausnahmefällen als ultima ratio, als letzte Möglichkeit, in Betracht kommt (BGH, FamRZ 2008, 592). Es besteht auch keine gesetzliche Vermutung dahin, dass die gemeinsame Sorge nach der Trennung der Eltern weiterhin die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung ist (BGH FamRZ 2008, 592).

Bei der Entscheidung über die Anordnung oder Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist insbesondere zu berücksichtigen, wenn es im Verhältnis der Eltern an einer Grundlage für ein Zusammenwirken im Sinne des Kindeswohls fehlt. Ein nachhaltiger und tiefgreifender Elternkonflikt kann zur Folge haben, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl widerspricht (BGH, FamRZ 2016, 1439 Rn. 21). Die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setzt ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und insgesamt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus (BGH, a.a.O., Rn. 23). Die gemeinsame elterliche Sorge ist daher nicht anzuordnen, wenn eine schwerwiegende und nachhaltige Störung auf der Kommunikationsebene der Eltern vorliegt, die befürchten lässt, dass den Eltern eine gemeinsame Entscheidungsfindung nicht möglich sein wird und das Kind erheblich belastet würde, würde man die Eltern zwingen, die Sorge gemeinsam zu tragen. Maßgeblich ist, welche Auswirkungen die mangelnde Einigungsfähigkeit der Eltern bei einer Gesamtbeurteilung der Verhältnisse auf die Entwicklung und das Wohl des Kindes haben wird (BGH, a.a.O., Rn. 24). Die Kommunikation der Eltern kann bereits dann schwer und nachhaltig gestört sein, wenn die Eltern zwar miteinander in Kontakt treten, hierbei aber regelmäßig nicht in der Lage sind, sich in der gebotenen Weise sachlich über die Belange des Kindes auszutauschen und auf diesem Wege zu einer gemeinsamen Entscheidung zu gelangen. Dann ist zu prüfen, ob hierdurch eine erhebliche Belastung des Kindes zu befürchten ist (BGH, a.a.O., Rn. 25). Zur Begründung der Alleinsorge in einem solchen Fall ist nicht zusätzlich die Feststellung einer günstigen Prognose dahingehend erforderlich, dass die Eltern aufgrund der gerichtlichen Entscheidung für die Alleinsorge ihren Streit nicht fortsetzen werden. In die Abwägung ist vielmehr einzubeziehen, ob durch die Alleinsorge die Konfliktfelder zwischen den Eltern eingegrenzt werden, was für sich genommen bereits dem Kindeswohl dienlich sein kann, während bereits das Risiko, dass das Kind durch die Begründung der gemeinsamen Sorge verstärkt dem fortdauernden Konflikt der Eltern ausgesetzt wird, dem Kindeswohl entgegenstehen kann (BGH, a.a.O., Rn. 28).