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Angesichts der demnächst bestehenden Möglichkeit, auch Kinder gegen Covid-19 zu impfen, stellt sich die Frage, ob bei gemeinsamem Sorgerecht ein Elternteil ohne Zustimmung des anderen die Impfung des Kindes durchführen lassen kann.

Zu anderen Impfungen bei Kindern ist die Rechtsprechung uneinheitlich:

Überwiegend wird angenommen, dass die einem getrennt lebenden Elternteil zustehende Alltagssorge (§ 1687 Abs. 1 Satz 2 BGB) nicht die Befugnis umfasst, über die Vornahme oder Nichtvornahme von Schutzimpfungen seines minderjährigen Kindes autonom zu entscheiden. Denn es handele sich um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 1628 Satz 1 BGB, deren Entscheidung das Familiengericht bei Dissens der Kindeseltern einem Elternteil übertragen könne. Befürworte ein Elternteil die Durchführung der von der Ständigen Impfkommission der Bundesrepublik Deutschland empfohlenen Schutzimpfungen, indiziere diese Haltung – vorbehaltlich entgegen stehender Umstände des Einzelfalls – seine Eignung, eine kindeswohlkonforme Impfentscheidung (§ 1697a BGB) zu treffen (BGH, Beschluss vom 03. Mai 2017 – XII ZB 157/16 –; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 07. März 2016 – 4 UF 686/15 –; KG Berlin, Beschluss vom 18. Mai 2005 – 13 UF 12/05 –, juris).

Demgegenüber wurde teilweise angenommen, dass Angelegenheiten der Gesundheitsvorsorge einschließlich empfohlener Schutzimpfungen (hier Schweinegrippeimpfung) in den Katalog der elterlichen Alltagssorge fielen, für die derjenige Elternteil, bei dem sich das Kind aufhält, die alleinige Entscheidungsbefugnis habe (OLG Frankfurt, Beschluss vom 07. Juni 2010 – 2 WF 117/10 –, juris). In Angelegenheiten des täglichen Lebens bestehe eine Alleinentscheidungsbefugnis desjenigen Elternteils, bei dem das Kind lebe, und nur bei Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung müssten die anstehenden Entscheidungen in gegenseitigem Einvernehmen getroffen werden. Diese Abgrenzung gelte grundsätzlich auch für Angelegenheiten der Gesundheitssorge, so dass Entscheidungen im Rahmen der gewöhnlichen medizinischen Versorgung wie Vorsorge -und Routineuntersuchungen einschließlich empfohlener Schutzimpfungen regelmäßig in den Katalog der Alltagssorge fielen, für die derjenige Elternteil, bei dem sich das Kind aufhält, die alleinige Entscheidungsbefugnis habe.

Wie allerdings durch den Bundesgerichtshof festgestellt wurde, sind Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens nach § 1687 Abs. 1 Satz 3 BGB in der Regel nur solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben. Bei Impfungen handelt es sich bereits nicht um Entscheidungen, die häufig vorkommen. Denn hierfür ist auf jede einzelne Impfung gesondert abzustellen. Auch soweit die jeweilige Impfung eine oder mehrere Wiederholungen oder Auffrischungen erforderlich macht, ist die Entscheidung sinnvollerweise nur einheitlich zu treffen. Die Entscheidung, ob das Kind während der Minderjährigkeit gegen eine bestimmte Infektionskrankheit geimpft werden soll, fällt im Gegensatz zu Angelegenheiten des täglichen Lebens regelmäßig nur einmal an. Zudem kann die Entscheidung schwer abzuändernde Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben, wobei zunächst offenbleiben kann, ob die Infektionsrisiken im Fall der Nichtimpfung die Impfungsrisiken überwiegen oder umgekehrt. Die Bedeutung der Angelegenheit ist dabei unabhängig von der jeweils ins Auge gefassten Entscheidungsalternative zu beurteilen.

Insbesondere aufgrund der Tatsache, dass naturgemäß keine Forschungsergebnisse zur langfristigen Verträglichkeit der Covid-19-Impfung bei Kindern vorliegen können stellt eine entsprechende Impfung eine Angelegenheit von erheblichem Gewicht dar, bei der im Falle gemeinsamer elterlicher Sorge auch beide Elternteile zu beteiligen sind.