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Dem Kindeswillen kommt – abhängig vom Alter und von der individuellen Reife des Kindes – im Umgangsverfahren eine hohe Bedeutung zu. Bei Kindern ab dem 11.-13. Lebensjahr wird regelmäßig davon ausgegangen, dass sie zur Entwicklung eines selbstbestimmten Willens fähig sind (vgl. OLG Frankfurt a.m. FamRZ 2021, 1807).

Wie das OLG Frankfurt zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt hat deuten Langzeitstudien darauf hin, dass ein den Kindern „aufgedrängter“ Umgang von diesen als Belastung empfunden wird und das Verhältnis zum umgangsberechtigten Elternteil negativ beeinflusst.

Der Kindeswille hat eine doppelte Funktion. Zum einen ist er Ausdruck der empfundenen Personenbindung, die auch nonverbal, z.B. durch ein freudiges Zugehen auf den Umgangselternteil, zum Ausdruck gebracht werden kann und in dieser Funktion unabhängig vom Alter des Kindes ist. Zum anderen ist er Akt der Selbstbestimmung, wobei diese Funktion mit steigendem Alter an Bedeutung gewinnt. Damit korreliert die Bedeutung des Kindeswillens mit dem Alter des Kindes. Eine feste Altersgrenze für die Maßgeblichkeit des Kindeswillens in seiner Funktion als Ausdruck seiner Selbstbestimmung gibt es nicht. In der Regel wird bei Kindern ab dem 11.-13. Lebensjahr davon ausgegangen, dass sie zur Entwicklung eines selbstbestimmten Willens fähig sind. Beachtlich im rechtlichen Sinne ist der Kindeswille, wenn das Kind aufgrund seiner verstandesmäßigen Reife die Bedeutung des Umgangs versteht und es einen stabilen und autonomen Willen gebildet hat. Stabil ist der Wille, wenn er nachhaltig und gegenüber allen Verfahrensbeteiligten gleichen Inhalts geäußert wird. Von einem autonomen Willen kann ausgegangen werden, wenn er auf dem eigenen Erleben mit dem Elternteil beruht. Dann aber spielt es keine Rolle, ob er sich auch unter einer Beeinflussung des betreuenden Elternteils entwickelt hat. Die Nichtbeachtung des Kindeswillens ist nur dann gerechtfertigt, wenn er nicht die wirklichen Bindungsverhältnisse wiedergibt. Bei jüngeren Kindern kann hingegen eine Entscheidung auch gegen den geäußerten Willen ergehen, wenn er das Ergebnis einer illoyalen Einflussnahme eines Elternteils ist und/ oder der Umgang trotz des geäußerten Kindeswillens nach einer Gesamtabwägung der Kindeswohl relevanten Gesichtspunkt seinem Wohl entspricht (vgl. Gottschalk in Heilmann, Praxiskommentar Kindschaftsrecht, 2. Aufl., § 1684 BGB, Rn. 30 ff

Maßgeblich bei der Umgangsregelung ist allein das Wohl des Kindes und nicht vermeintliche Gerechtigkeits- und Gleichberechtigungserwägungen eines Elternteils (vgl. Gottschalk in Heilmann, Praxiskommentar Kindschaftsrecht, 2. Aufl., § 1684, Rn 11).

Ungeachtet der streitigen Frage, ob ein Wechselmodell gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden kann (so jedenfalls BGH, ZKJ 2020, 140), lagen die Voraussetzungen zur Anordnung vorliegend nicht vor.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Frage, ob die Anordnung des Wechselmodells geboten sein kann, unter Berücksichtigung anerkannter Kriterien des Kindeswohls zu entscheiden. Als gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls wurden in Sorgerechtsfragen bislang die Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens angeführt. Gleiches gilt auch für Regelungen zum Umgangsrecht und mithin hier für die Anordnung des paritätischen Wechselmodells. Ähnlich wie bei der gemeinsamen Sorge als paritätischer Wahrnehmung des Elternrechts setzt die Kindeswohldienlichkeit des paritätischen Wechselmodells als hälftig geteilter Ausübung der gemeinsamen Sorge auch die Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern voraus (BGH a.a.O. und BGH, FamRZ 2017, 532).

Dass zwischen den Eltern über die Betreuung des Kindes im Wechselmodell Konsens besteht, ist hingegen keine Voraussetzung für eine entsprechende Anordnung. Das ergibt sich bereits aus der Erwägung, dass der Wille des Elternteils und das Kindeswohl nicht notwendig übereinstimmen und es auch nicht in der Entscheidungsbefugnis eines Elternteils liegt, ob eine dem Kindeswohl entsprechende gerichtliche Anordnung ergehen kann oder nicht. Würde der entgegengesetzte Wille eines Elternteils gleichsam als Vetorecht stets ausschlaggebend sein, so würde der Elternwille ohne Rücksicht auf die zugrundeliegende jeweilige Motivation des Elternteils in sachwidriger Weise über das Kindeswohl gestellt. Vergleichbar ist das Einverständnis beider Eltern auch nicht Voraussetzung der Begründung oder Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge in den Fällen der §§ 1626a, 1671 BGB. Durch die Regelung in § 1626a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 BGB ist vielmehr gerade ermöglicht worden, den Vater auch ohne Zustimmung der Mutter an der elterlichen Sorge zu beteiligen, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht (BGHZ a.a.O.).

Das Wechselmodell ist danach anzuordnen, wenn die geteilte Betreuung durch beide Eltern im Vergleich mit anderen Betreuungsmodellen dem Kindeswohl im konkreten Fall am besten entspricht.

Dies war vorliegend nicht der Fall, da es einerseits an ausreichend guter Kommunikation und Kooperation mangelte und andererseits an einem entsprechenden Kindeswillen.