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Ein zur Anfechtung der Annahme einer Erbschaft berechtigender Irrtum kann vorliegen, wenn der mit Beschwerungen als Erbe eingesetzte Pflichtteilsberechtigte irrig davon ausgeht, er dürfe die Erbschaft nicht ausschlagen, um seinen Anspruch auf den Pflichtteil nicht zu verlieren.

Dies gilt auch nach der Neufassung des § 2306 Abs. 1 BGB mit Wirkung zum 1. Januar 2010 (BGH, Urteil vom 29. Juni 2016 – IV ZR 387/15 –, juris).

Mit der Neufassung des § 2306 Abs. 1 BGB hat der Gesetzgeber die Differenzierung, ob der mit Beschränkungen oder Beschwerungen belastete Erbteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils übersteigt oder nicht, aufgegeben. Nunmehr muss der Erbe, wenn er den Pflichtteil verlangen will, in jedem Fall den Erbteil ausschlagen (vgl. BT-Drucks. 16/8954 S. 20). Unterschiedlich wird die Frage beurteilt, ob die bisherige Rechtsprechung des Senats zur Irrtumsanfechtung zu § 2306 Abs. 1 BGB a.F. auch auf die Neuregelung übertragen werden kann.

Im Schrifttum wird z.T. angenommen, dass sich durch die Neufassung des § 2306 Abs. 1 BGB inhaltlich keine Änderungen zur bisherigen Rechtslage ergeben habe und der Erbe weiterhin dem beachtlichen Irrtum unterliegen könne, er dürfe die Erbschaft nicht ausschlagen, um seinen Anspruch auf den Pflichtteil nicht zu verlieren (so etwa MünchKomm-BGB/Leipold, 6. Aufl. § 1954 Rn. 10; Staudinger/Otte, BGB (2015) § 2306 Rn. 7; Palandt/Weidlich, BGB 75. Aufl. § 1954 Rn. 4; FA-Komm-ErbR/Lindner, § 2306 Rn. 15; Keim ZEV 2008, 161, 163; ders. MittBayNot 2010, 85, 87; Herzog/Lindner, ZFE 2010, 219, 222).

Demgegenüber vertritt ein anderer Teil des Schrifttums die Auffassung, an der bisherigen Rechtsprechung könne nicht festgehalten werden und ein Irrtum über die Annahme und/oder die unterlassene Ausschlagung rechtfertige keine Anfechtung mehr (Damrau/Riedel, Erbrecht 3. Aufl. § 2306 Rn. 46; Lange, DNotZ 2009, 732, 736; zweifelnd an der Fortgeltung der bisherigen Rechtsprechung ferner MünchKomm-BGB/Lange, 6. Aufl. § 2306 Rn. 28; Bamberger/Mayer, BGB 3. Aufl. § 2306 Rn. 8; Bock in Kroiß/Ann/Meyer, Erbrecht 4. Aufl. § 2306 Rn. 24; Horn in Münchener Anwaltshandbuch Erbrecht § 29 Rn. 110; Birkenheier in juris PK-BGB Bd. 5 § 2306 Rn. 104). Der Erbe könne nunmehr dem Gesetzestext hinreichend klar entnehmen, dass er, um den Pflichtteil verlangen zu können, zwingend ausschlagen müsse. Auf die Differenzierung nach der Größe des hinterlassenen Erbteils komme es nicht mehr an. Unterliege der Erbe hierzu einem Irrtum, so handele es sich um einen unbeachtlichen Motiv- oder Rechtsfolgenirrtum.

Die erstgenannte Auffassung trifft nach Ansicht des BGH zu. Auch nach der Neuregelung des § 2306 Abs. 1 BGB können sich zur Anfechtung wegen Inhaltsirrtums berechtigende Sachverhaltskonstellationen ergeben, auf die die Grundsätze des Beschlusses des BGH vom 5. Juli 2006 (IV ZB 39/05BGHZ 168, 210) entsprechende Anwendung finden. Der mit Beschränkungen und Beschwerungen belastete Erbe wird im Regelfall nicht wissen, dass er die Erbschaft ausschlagen muss, um seinen Pflichtteilsanspruch nicht zu verlieren Der Regelungsgehalt des § 2306 Abs. 1 BGB steht gerade im Gegensatz zu dem sonstigen Grundsatz, dass die Erbausschlagung zum Verlust jeder Nachlassbeteiligung führt (vgl. § 1953 Abs. 1 und 2 BGB). Vielmehr kommt es in derartigen Fällen in Betracht, dass ein mit Belastungen und Beschwerungen eingesetzter Erbe die Erbschaft nur deshalb nicht ausschlägt, weil er davon ausgeht, ansonsten keinen Pflichtteilsanspruch zu haben.

In diesem Fall spielt es auch keine Rolle, ob der Erbe die Erbschaft ausdrücklich annimmt oder lediglich durch Verstreichenlassen der Ausschlagungsfrist. Zu einem Irrtum über die Folgen der bewussten oder unbewussten Annahme der Erbschaft kann es nach neuem Recht umso mehr kommen, als der Erbe nunmehr unabhängig von der Größe des hinterlassenen Erbteils die Erbschaft immer ausschlagen muss, um den Pflichtteil verlangen zu können. Nach früherem Recht war eine derartige Ausschlagung nicht erforderlich, wenn die Höhe des hinterlassenen Erbteils die Hälfte des gesetzlichen Erbteils nicht übersteigt. Jedenfalls ist die Gefahr eines derartigen Irrtums durch die Neuregelung nicht verringert worden.