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Die private Nutzung einer Tankkarte entgegen den Regelungen einer Dienstwagenrichtlinie kann eine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen (Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 29. März 2023 – 2 Sa 313/22 –, juris).

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar war oder nicht (BAG, 31. Juli 2014 – 2 AZR 505/13 – 2 AZR 505/13 – Rn. 39; BAG, 8. Mai 2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 16).

Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB kann nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten, insbesondere eine Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB, die dem Schutz und der Förderung des Vertragszweckes dient, kann an sich ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein. Die vertragliche Rücksichtnahmepflicht verlangt von den Parteien eines Arbeitsverhältnisses, gegenseitig auf die Rechtsgüter und die Interessen der jeweils anderen Partei Rücksicht zu nehmen. Der Arbeitnehmer hat seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebes nach Treu und Glauben billigerweise erwartet werden kann. Der Arbeitnehmer ist in jedem Fall verpflichtet, vom Betrieb Schäden abzuwenden, soweit ihm dies möglich und zumutbar ist.

Der kündigende Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände des wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB. Er muss alle Tatsachen darlegen und gegebenenfalls beweisen, die den Vorwurf begründen, der Arbeitnehmer habe vertragswidrig gehandelt. Im Vertragsrecht indiziert ein bestimmter Sachverhalt, der den objektiven Voraussetzungen für eine Vertragsverletzung entspricht, nicht zugleich ein rechts- bzw. vertragswidriges Verhalten; vielmehr muss die Rechtswidrigkeit des beanstandeten Verhaltens besonders begründet werden. Deshalb muss der Arbeitgeber gegebenenfalls auch die Tatsachen beweisen, die einen Rechtfertigungsgrund für das Verhalten des Arbeitnehmers ausschließen. Das Fehlen eines solchen Grundes gehört zu den die Kündigung bedingenden Tatsachen (vgl. BAG, 6. August 1987 – 2 AZR 226/87 – Rn. 21).

Der Arbeitgeber braucht aber nicht von vornherein alle nur denkbaren Rechtfertigungsgründe des Arbeitnehmers zu widerlegen. Es reicht nicht aus, wenn der Arbeitnehmer Rechtfertigungsgründe pauschal und ohne nähere Substantiierung vorbringt. Vielmehr ist er nach § 138 Abs. 2 ZPO gehalten, die Tatsachen, aus denen er eine Rechtfertigung seines Verhaltens herleiten will, ausführlich vorzutragen. Erst eine substantiierte Einlassung des Arbeitnehmers ermöglicht dem Arbeitgeber die Überprüfung dieser tatsächlichen Angaben und auch einen erforderlichen Beweisantritt, falls er sie für unrichtig hält (BAG, 19. Dezember 1991 – 2 AZR 367/91 – Rn. 29 ff.).

Werden in einem Arbeitsverhältnis Tankkarten, Kreditkarten oder Kontokarten zur Verfügung gestellt, so ist zunächst davon auszugehen, dass diese lediglich für die Bestreitung der arbeitsvertraglichen Pflichten und dienstliche Zwecke gedacht sind. Der Arbeitgeber erfüllt durch die Übergabe dieser Karten seine Vorschusspflicht aus § 669 BGB (vgl. LAG Schleswig-Holstein, 15. März 2011 – 2 Sa 526/10 – Rn. 28). In diesem Sinne war auch die Dienstwagenrichtlinie der Beklagten formuliert. Gemäß Ziffer 2 der Dienstwagenrichtlinie wurde die Auswahl des zur Verfügung stehenden PKW von der Beklagten getroffen. Gemäß Ziffer 3.1 der Dienstwagenrichtlinie war der Mitarbeiter verpflichtet, den PKW bei Dienstreisen einzusetzen. Das vom Kläger reklamierte Wahlrecht der Nutzung etwaiger zur Verfügung stehender Privatfahrzeuge für den Einsatz bei Dienstreisen wurde durch die Dienstwagenrichtlinie unterbunden. Gemäß der Dienstwagenrichtlinie war der Mitarbeiter verpflichtet, den Weisungen der Beklagten in Bezug auf die Nutzung der Tankkarte Folge zu leisten. Aus der Dienstwagenrichtlinie ergab sich damit eindeutig, dass der Einsatz der Tankkarten nur bei Nutzung des Dienstwagens erlaubt sein sollte.