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Der BGH hat sich in einer am 26.10.2022 ergangenen Entscheidung erneut mit den Voraussetzungen einer nicht zu rechtfertigenden Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB bei der ernsthaften Gefahr eines Suizids des Mieters im Falle einer Verurteilung zur Räumung befasst (Az. VIII ZR 390/21 -, juris).

Nach § 574 Abs. 1 BGB kann der Mieter einer an sich gerechtfertigten ordentlichen Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn oder seine Familie eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist.

Das Vorliegen einer Härte setzt voraus, dass sich die für die Beklagte drohenden Nachteile von den mit einem Wohnungswechsel typischerweise verbundenen Unannehmlichkeiten deutlich abheben.

Sowohl bei der Feststellung des Vorliegens einer Härte im Sinne von § 574 Abs. 1 BGB als auch bei deren Gewichtung im Rahmen der Interessenabwägung zwischen den berechtigten Belangen des Mieters und denen des Vermieters ist danach im Einzelfall zu berücksichtigen, ob und inwieweit sich die mit einem Umzug einhergehenden Folgen durch die Unterstützung des Umfelds des Mieters beziehungsweise durch begleitende ärztliche und/oder therapeutische Behandlungen mindern lassen.

Die Ablehnung einer möglichen Therapie durch den suizidgefährdeten Mieter führt aber nicht grundsätzlich dazu, dass das Vorliegen einer Härte abzulehnen oder bei der Interessenabwägung den Interessen des Vermieters der Vorrang einzuräumen wäre. Vielmehr ist dieser Umstand im Rahmen der umfassenden Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, bei der auch die Gründe für die Ablehnung, etwa eine krankheitsbedingt fehlende Einsichtsfähigkeit in eine Therapiebedürftigkeit, sowie die Erfolgsaussichten einer Therapie zu bewerten sind.

Das Angebot einer Ersatzwohnung durch den Vermieter und dessen Ablehnung durch den Mieter sowie die Gründe hierfür sind ebenfalls einzelfallbezogen sowohl bei der Beurteilung, ob eine Härte vorliegt, als auch bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen.

Bei der Anwendung und Auslegung des § 574 BGB sind dieselben verfassungsrechtlichen Maßstäbe anzulegen wie bei der Prüfung des Kündigungstatbestands. Auch im Rahmen der Vorschrift des § 574 BGB ist dementsprechend die vom Vermieter beabsichtigte Lebensplanung zu respektieren und der Rechtsfindung zugrunde zu legen (BGH, NJW-RR 2021, 461, R. 38). Indes sind bei der Abwägung der gegenseitigen berechtigten Belange die Auswirkungen, die einerseits die Vertragsbeendigung für den Mieter und andererseits die Vertragsfortführung für den Vermieter haben würde, zu bewerten und in Beziehung zu setzen (vgl. BGH, BGHZ 222, 133 Rn. 65). Trotz des gerade auch im Hinblick auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG erheblichen Gewichts der den Vermieter bei einer Vertragsfortsetzung zugemuteten Nachteile überwiegen u.U. angesichts der Schwere und Ernsthaftigkeit der Suizidgefahr auf Seiten des Mieters, die – auch krankheitsbedingt – nicht mit zumutbaren Mitteln abgemildert werden kann, die Interessen des Mieters an einer Vertragsfortsetzung diejenigen des Vermieters an einer Vertragsbeendigung erheblich.